Predigt zum Namen............................04.11.12

Liebe Gemeinde,

 

ich habe mich heute mal nicht an den vorgeschlagenen Predigttext gehalten, es soll an diesem Sonntag um etwas anderes gehen, um den Namen Gottes.

 

Namen Zeichnen uns Menschen aus. Wir definieren uns über Namen, mein Name ist einzigartig, genau wie ich einzigartig bin. Mit meinem Namen kann ich gerufen werden und die Bibel spricht davon, dass all unsere Namen aufgeschrieben sind, im Buch des Lebens. Was für eine wunderbare Verheißung.

 

Und der Gottesname? Sie finden ihn vor sich, auf den Kärtchen, die am Eingang verteilt worden sind.

 

Eine Karte mit vier hebräischen Buchstaben. Der Gottesname, den die Juden bis heute nicht aussprechen. Wir achten das jüdische Volk und zugleich unsere eigenen Wurzeln, wenn wir diesen auch nicht versuchen auszusprechen.

 

Die vier Buchstaben, das Tetragramm, das Martin Luther mit dem großgeschriebenen Wort HERR übersetzt, ist eigentlich gar kein Wort. Nein, diese vier Buchstaben stehen für vier Wörter „Ich bin bei Euch“, so könnten wir es übersetzen. Was für ein Name. Der Gott der Muslime heißt Allah, der Gott der Buddhisten heißt Buddha, der Gott Israels hat keinen Namen.

 

Der Gottesname Israels drückt eine Verheißung, eine Zusage aus. „Ich bin bei Euch“. Wir erinnern uns, wie Mose berufen wurde, dort am brennenden Dornbusch, wo er seine Schuhe ausziehen musste, weil Gott diese Stätte heiligte und damit er etwas innehielt (nämlich zum Schuheausziehen) um so ein ganz klein wenig herausgehoben zu werden aus seinem Alltag und vorbereitet, Gott gegenüber zu treten. Wir täten gut daran, uns mitten am Tag etwas Zeit zu nehmen, Riten zu entwickeln. Nicht gerade die Schuhe auszuziehen, um zu beten, um Gott zu begegnen. Denn solche Riten geben unserem Alltag einen Rahmen, einen festen Halt, Sicherheit für unsere Seelen. Wie wichtig das ist und wie gut mir das tut, merke ich im Moment, in einer Umbruchphase, wo so viel neu, ungewohnt und gewöhnungsbedürftig ist, ganz besonders. Ich werde wieder ruhig, bekomme neue Kraft für die nächsten Schritte.

 

Und Mose da am Dornbusch? Er ist bereit und er bekommt einen Auftrag. Einen großen Auftrag. Er soll die Israeliten aus dem Land der Angst, der Unterdrückung und der Gottesferne führen, in ein gutes Land, in das verheißene Land. Ein Auftrag, der zu seiner Lebensaufgabe werden soll. Wir haben es eben in der alttestamentlichen Lesung gehört.

 

Und Mose fragt nach dem Namen. „Wie heißt du? Mit wem rede ich hier? Was soll ich dem Volk sagen, wer mir diesen Auftrag gegeben hat?“ Aber der große Gott weicht aus, er gibt ihm keine klare, eindeutige Antwort. Er gibt ihm das mit auf diesen entscheidenden Weg, was sein Name ausmacht. Er gibt ihm eine Verheißung mit. „Ich bin der, der ich bin“ oder „ich werde sein, der ich da sein werde“ oder eben die Version, die auf diese vier hebräischen Buchstaben passt: „Ich bin bei Euch.“ Gott spricht weiter zu Mose: “Das ist mein Name in Ewigkeit.“

 

Eine Verheißung also für ewige Zeiten. Eine Verheißung, die für alle Zeit und Ewigkeit trägt und hält. Eine Verheißung, die das Volk Israel auf ihrem langen Weg durch die Wüste getragen hat. Und wir? Wir gehen ja im Grunde in der Spur dieses Gottesvolkes. Hinter den Propheten, hinter Jesus und seinen Jüngern, hinter allen, die im Glauben voran gegangen sind, im Großen wie im Kleinen. In dieser Spur wandern auch wir und alle, die noch nach uns kommen werden, dem Land der Verheißung entgegen und getragen, ja gestützt durch ein ewig gültiges Wort. „Ich bin bei Euch“.

 

Dieses Wort „Ich bin bei Euch“ steht und stand zu allen Zeiten in der Gegenwart, ist also stets gegenwärtig, in jeder Lebenslage, jeder Situation gültig. Es heißt schließlich nicht, ich bin irgendwann mal bei Euch oder vielleicht ab und zu, wenn es mir gerade einfällt. Nein, der Name unseres Gottes heißt, „Ich bin bei Euch“ zu allen Zeiten und durch alle Zeiten hindurch. Das gilt in guten Zeiten, aber erst recht in bösen Zeiten, wenn es um uns dunkel wird, wenn Krankheit, Not und Sorgen uns einholen. Schließlich ist den Israeliten diese Verheißung gerade da gemacht worden, als sie unter der Last ihrer Unterdrücker stöhnten und schrien.

 

Dieser Name ist immer auf Kommunikation auf Austausch ausgelegt. „Ich bin bei Euch“ heißt, da ist ein Gegenüber, ein anderer, mit dem ich reden soll, auf den ich reagieren muss. Wir haben einen Gott, der von uns angesprochen werden will, der ein lebendiges Gegenüber ist, mit dem das Leben, der Alltag geteilt werden will, Freud und Leid.

 

Sonst verbirgt er sich, schweigt er, wendet sich ab. Das macht eben auch seine Lebendigkeit und die Eigenschaft seines Namens aus, dass er eben nicht immer und überall da ist. Wenn er nicht gerufen wird, schweigt er. Wo nicht mit ihm gelebt werden will, da ist er nicht. Wo gesagt wird, es gibt keinen Gott, wir brauchen keinen Gott, da bleibt er nicht, da geht er vorüber.

 

Diese moderne Sichtweise der Nichtexistenz Gottes kannten die Psalmen nicht, sie kannten wohl dies, dass Gott sich verbirgt. Sie beklagen es und treten dadurch gleichzeitig wieder in Beziehung zu diesem Gott. So lässt er sich wieder rufen und ist wieder da, denn wer sich eine tiefe Sehnsucht bewahrt, ja wer sich nicht zufrieden gibt mit der Welt wie sie ist und es Gott klagt, der bleibt offen für Gott, für den bleibt diese Verheißung lebendig und stark.

 

Wir feiern Gottesdienst im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Wir sagen nicht einfach, wenn wir Gottesdienst feiern, ist Gott dabei oder Gott hilft uns. Nein, es ist wichtig, das dies im Namen Gottes geschieht. Der Name ist wichtig, der Name schafft Verbundenheit zu Gott.

 

Im Hinterkopf haben wir vielleicht, dass andererseits viel Unrecht im Namen Gottes in dieser Welt geschehen ist und noch geschieht. Auch das sollten wir nicht aus dem Blick verlieren, wo der Gottesname missbraucht wird, geschieht Unrecht, Unterdrückung und Gewalt.

 

Unsere Aufgabe als Christen ist es, ihn zu ehren und zu bewahren. Denn wir wissen um die wunderbare Verheißung, die in diesem Gottesnamen steckt: „Ich bin bei Euch“ eine starke Zusage. Sie möge uns heute und morgen und an jedem neuen Tag stärken und trösten und uns immer wieder neu mit Hoffnung erfüllen, mit der Hoffnung, dass wir nicht allein sind auf dem weiten Weg ins verheißene Land.

 

Amen

 

Barbara: Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft,

der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu

Amen


Predigt zu 2. Korinther 4...................29.04.12

2. Kor 04, 16-18

 

4,16 Darum werden wir nicht müde; sondern wenn

auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch

der innere von Tag zu Tag erneuert.

 

4,17 Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht

ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige

Herrlichkeit,

 

4,18 uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare,

sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar

ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist,

das ist ewig.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

„Wer glaubt, wird selig“, sagt der Volksmund.

Oder „man sieht nur mit dem Herzen gut“ Sagt Antoine de Saint-Exupéry

Oder „Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben“ heißt es am Ende der Geschichte des „ungläubigen Thomas“, einer Geschichte der Oster-Erzählungen.

 

Was für ein Gottesbild haben Sie, haben wir heute? Ist es der alte Mann mit langem, weißen Bart auf der Wolke? Oder ein Bild, das uns irgendwann und irgendwo, beispielsweise in einem Altar-Bild mal angesprochen hat und in unserer Vorstellung präsent geblieben ist? Oder stellen Sie sich Gott eher abstrakt oder gar nicht bildlich vor?

 

In der Bibel wird Gott häufig als Stimme erkannt. Eine Stimme, die stets verborgen und unverfügbar ist. Eine Stimme im brennenden Dornbusch bei Mose oder in einer lichten Wolke an vielen Stellen des Alten und Neuen Testamentes.

 

Wo Gott zur Sprache kommt, ist er zwar präsent, aber unverfügbar, er ist da, aber nicht greifbar. Er geht mit uns, aber wir können ihn nicht festhalten. Er kann uns ganz nah sein, aber auch sehr weit weg. Gott ist nicht einfach immer allgegenwärtig, er kann sich auch verbergen. Oder die Psalmen fragen, ob er schlafe. Wir haben keine Macht über ihn, wir können ihn nur bitten: Ach, komm doch. Oder wie die Emmaus-Jünger: Ach, bleib doch.

 

Paulus umschreibt Gott mit dem, was wir nicht sehen und was doch ewig währt. Er beschreibt hier, dass die, die an diesen unsichtbaren und unverfügbaren Gott glauben, nicht müde werden. Damit greift er zurück auf eine uralte Weisheit des Propheten Jesaja. Dort heißt es:

 

„Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott,

der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt,

sein Verstand ist unausforschlich.

Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden.

Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen;

aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft,

daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler,

daß sie laufen und nicht matt werden,

daß sie wandeln und nicht müde werden.

 

Was Paulus mit etwas umständlichen Formulierungen von innen und außen oder sichtbar und unsichtbar beschreibt, weiß Jesaja in wunderschönen Bildern und einprägsamen, fast schon lyrischen Sätzen zu sagen.

 

Die auf den Herrn vertrauen werden nicht müde noch matt. Sie werden auffahren auf Flügeln wie Adler. Wie schön ist dieses Bild, Glaube verleiht Flügel. Man könnte hier kritisch hinterfragen ob, wer glaubt, abgehoben lebt. Ich würde eher sagen, wer glaubt und auffährt mit Flügeln wie Adler, dem wird es geschenkt, einen besseren Überblick zu haben, er sieht vielleicht weiter, oder bekommt in solchen Momenten eine Ahnung von dem, was Gott mit ihm vor hat, oder wie Gott diese Welt gedacht und gewollt hat. Ich gebe zu, es wird uns nicht oft geschenkt so aufzufahren, aber manchmal eben doch.

Doch Paulus geht es in unserem Predigttext nicht um den Überblick, sondern um Ausdauer, um das „nicht müde werden“.

Um dieses „nicht müde werden“ geht es recht häufig in der Bibel. So heißt es in Psalm 84:

 

Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten

und von Herzen dir nachwandeln!

 

Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund,

und Frühregen hüllt es in Segen.

 

Sie gehen von einer Kraft zur andern

und schauen den wahren Gott in Zion.

 

Aber warum? Warum werden Menschen der Bibel nicht müde noch matt? Heute würde man vielleicht fragen, warum stumpfen diese Menschen nicht ab oder werden gleichgültig angesichts des Elends dieser Welt. Wer dem Schöpfer dieser Welt vertraut und unbeirrbar auf die Stimme dessen hört, der ihn ins Leben gerufen hat, der wird nicht müde noch matt, der trägt eine Hoffnung im Herzen und dem klingt eine Verheißung im Ohr, Tag für Tag neu, wie Paulus es beschreibt. Wer Gott vertraut, der weiß, dass der Herr Tag für Tag die Kraft haben kann, uns innerlich, das heißt unsere Seele grundlegend zu verändern.

 

Paulus sagt, äußerlich bleiben wir ziemlich gleich. Unser Körper ist uns nun einmal so gegeben, wie er ist und in all seiner Begrenztheit, die wir dann mit zunehmenden Alter immer deutlicher zu spüren bekommen. Aber an unserer Seele da kann Gott am Werke sein. Er kann sie manchmal in grundlegender Weise verändern, wandeln und heilen. Ja, er hat die Macht, dass wir umkehren, Auferstehen von den Toten, aus den Gräbern, die wir uns Tag für Tag selbst schaufeln, mitten im Leben.

 

Eine gute Bekannte hat mal gesagt, die Bibel ist ein Buch der Auferstehung, auch schon das Alte Testament. Und sie meinte hier die Auferstehung mitten im Leben. Die Bibel lehrt uns, Gott führt heraus aus Angst, Not und Bedrängung. Aus ausweglosen Situationen führt er uns hinaus zu neuem Leben. Wir denken hier an die Befreiung Israels aus Ägypten oder an Jona oder an die drei Männer im feurigen Ofen. Alles Lesungen der alten Liturgie der Osternacht, wo wir Auferstehung feiern.

 

Und Gott rettet in all diesen Geschichten nicht, indem er Menschen körperlich oder äußerlich verändert, er rettet Menschen, indem er sie innerlich verändert, erneuert, stärkt und neu auferstehen lässt, mitten im Leben.

 

Denken wir an Mose, der sich überhaupt nicht dazu fähig fühlt, diese riesige Aufgabe, die Gott ihm da zugedacht hat zu übernehmen. Er hadert mit Gott und sagt: „Nimm wen du willst, ich habe eine schwere Zunge, ich kann nicht reden, ich tauge nicht für das, was Du da mit mir vor hast.“ Und Gott, er heilt nicht etwa die Sprachbehinderung des Mose, er verändert ihn innerlich, er lehrt ihn Vertrauen und stellt ihm zusätzlich als „Stimme“ seinen Bruder Aaron zur Seite.

 

Genau das meint Paulus, wenn er sagt, der innere Mensch würde Tag für Tag erneuert. Und wodurch geschieht das? Dadurch, dass wir immer wieder Tag für Tag neu lernen, ihm zu vertrauen.

 

Glaube ist immer eine Bewegung aus zwei Richtungen aufeinander zu. Zum einen kommt Gott uns entgegen. Er ist Mensch geworden und in diese Welt gekommen. Wir feiern nicht etwa Ostern als Hoffnungsfest für ein Leben nach dem Tod. Diese Hoffnung haben Muslime auch. Wir feiern Ostern, weil uns da jemand vorausgegangen ist durch alles Leid dieser Welt. Ja, sogar durch den Tod. Und der kommt uns nun entgegen, nimmt uns bei der Hand und geht mit uns durch alles hindurch. Aber er, der uns da entgegen kommt, muss gebeten werden, wie der Blinde am Tempel ihn bittet „Kyrie Eleison“ Herr erbarme dich. Oder wie die Emmaus-Jünger ihn bitten „Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden.“ Wenn wir selbst aktiv werden, ihm entgegen gehen oder ihn rufen, dann bleibt er, kehrt bei uns ein und offenbart sich uns auf vielerlei Weise als der nicht Sichtbare und doch Nahe, als der Unverfügbare und doch Präsente.

So lasst uns aufstehen, uns aufmachen, ihn anzurufen und ihn zu suchen inmitten dieser Welt und dabei nicht müde werden, denn was unsichtbar ist, ist herrlich und währt ewig.

 

Barbara: Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft,

der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu

Amen

 

 

 

 


Predigt zu Jesaja 5...........................04.03.12

Jes 05, 1-7

5,1 Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen,

ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.

Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer

fetten Höhe.

 

5,2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und

pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen

Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf,

daß er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.

 

5,3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr

Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg!

 

5,4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg,

das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn

schlechte Trauben gebracht, während ich darauf

wartete, daß er gute brächte?

 

5,5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit

meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen

werden, daß er verwüstet werde, und seine Mauer

soll eingerissen werden, daß er zertreten werde.

 

5,6 Ich will ihn wüst liegen lassen, daß er nicht

beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln

und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken

gebieten, daß sie nicht darauf regnen.

 

5,7 Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus

Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an

der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch,

siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe,

da war Geschrei über Schlechtigkeit.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Wie schön, ich darf eine Lied-Predigt halten. Mit Liedern assoziieren wir doch immer etwas Positives und Schönes. Eine beschwingte Melodie und dazu ein tröstender Text kann uns binnen kurzem verwandeln und uns von Herzen froh machen. Ein gesungener Text berührt unser Gemüt überdies viel tiefer, als wenn wir die selben Worte nur gesprochen hören oder gar stumm lesen.

 

Der Prophet Jesaja singt dieses Lied. Aber ihm wird es bestimmt nicht leicht von den Lippen gegangen sein, denn er muss damit die bevorstehende Zerstörung Israels und Judas ankündigen.

 

Etwa Zweidrittel unserer biblischen Texte sind Lieder, ist Poesie. Warum ist das so? Lieder und Poesie sind Dichtung und Dichtung verdichtet die Aussage von Texten. Sie bringt quasi auf den Punkt, was gesagt werden soll oder werden muss.

 

Was muss denn nun hier in unserem Predigttext verdichtet und auf den Punkt gebracht werden? Es muss gemahnt werden und Missstände müssen aufgedeckt werden.

 

Er wartete auf Rechtsspruch,

siehe, da war Rechtsbruch,

auf Gerechtigkeit, siehe,

da war Geschrei über Schlechtigkeit.

 

Gottes Volk ist abtrünnig geworden, es handelt ganz und gar nicht so, wie der Herr es erwartet.

Um das Geschrei der Elenden und Armen geht es hier. Gott hört es, wenn die Elenden schreien, wissen die Psalmen zu singen. Ja, es zieht sich durch die ganze Bibel hindurch, dass unser Herr das Schreien der Unterdrückten und Ausgebeuteten hört und eingreift. Das größte Beispiel hierfür ist die Befreiung aus der Sklaverei aus Ägypten.

 

Die Juden feiern diese große Befreiung bis heute im Passa-Mahl und auch unser Abendmahl, das wir gleich halten, ist aus diesem Passa-Mahl entstanden und für den, der diese beiden Feiern genauer miteinander vergleicht, gibt es auch in unserem Abendmahl Anklänge dieses großen Festes der Befreiung aus Unterdrückung und Tod.

 

Wir haben also einen Gott, der das Geschrei seiner leidenden Kinder hört und eingreift, damals in Ägypten, wie auch bei Jesaja kurz vor der Zerstörung Israels und Judas.

 

Doch Gott greift ein durch Menschen, indem er Menschen beruft und in seinen Dienst stellt. Wen er beruft, von dem erwartet er auch etwas. Fällt uns da nicht zwangsläufig die „Berufungsgeschichte“ unserer Gemeinde des vergangenen Sonntags ein? Und drängt sich da nicht bei uns frisch Berufenen die Frage auf, werden wir den Erwartungen Gottes und den Erwartungen dieser Gemeinde gerecht werden?

 

Jesaja umschreibt diese Berufung, die letztendlich die Berufung seines auserwählten Volkes Israel darstellt, nicht nur in einem Lied, er malt zusätzlich ein Bild. Er redet in einem Gleichnis. Er benutzt das Bild des Weinberges. Ein Bild, das die Bibel, das Alte wie das Neue Testament an vielen Stellen mit unterschiedlichster Deutung kennt und benutzt,

 

In unserem Predigttext geht es nun um einen Weinberg, der zunächst liebevoll und sorgfältig angelegt und gepflegt wird. Die Voraussetzungen für eine gute Ernte sind also optimal. Dann setzt sich der Weingärtner hin und wartet. Er beobachtet und erwartet eine reiche, gute Ernte.

 

Wir haben also einen Gott, der uns zunächst ohne unser „eigen Verdienst und Würdigkeit“ wie Martin Luther zu sagen pflegt, schafft und zurüstet. Wir haben also von Anfang an Gottes uneingeschränktes, liebevolles Ja für unser Leben erhalten. Weil, so steht es auch in unserem Predigttext, sein Herz an seinen Menschen hängt. So haben wir einen Gott, der leidenschaftlich für uns empfindet. Ja, mehr noch, nur der liebevollen Fürsorge Gottes verdanken wir unser Dasein. Welch optimale Voraussetzungen für eine gute Ernte.

 

Doch Gott hat uns als Menschen mit einem freien Willen gewollt und erschaffen. So sind wir frei, ja oder nein zu sagen. Frei zu wachsen wie die Reben im Weinberg. Oder auch frei nach Gottes Willen zu handeln oder nicht. Als Richtschnur für unser Wachsen haben wir dabei Gottes Wort, das uns auf vielerlei Weise begegnet und anrühren möchte, das galt für Israel damals wie für uns heute.

 

Jesaja kündigt durch seine Worte also die unmittelbar bevorstehende Zerstörung Israels und Judas an. Wir kennen die geschichtlichen Zusammenhänge der damaligen Zeit und wissen, was da zur Zeit des Jesaja passiert sein muss. Der Zerfall in Nord- und Südreich ist bereits vollzogen, die Zerstörung des Tempels und die Deportation nach Babylon stehen noch bevor. Vermutlich wächst der politische Druck im Land und das Volk assoziiert die eigene Situation mit dem Bild des Propheten von dem Weinberg seines Freundes. Der Prophet selbst gibt ja auch einige Deutungshinweise zu seinem Bild

 

Es ist ein Bild, das erschreckt, das nichts Gutes verheißt. Es wird ein Szenario der Zerstörung und Verwüstung aufgezeichnet. Das soll dem Volk Gottes bevorstehen? Die Zerstörung und Vernichtung durch den eigenen Schöpfer? Das will uns bis heute nicht in den Kopf, dass dieser Leben schaffende Gott auch zum wütenden, zerstörerischen, ja tötenden Gott werden kann. Ja, wir haben einen leidenschaftlichen Gott, der zürnt und es nicht ertragen kann, wenn die, die er in Liebe geschaffen hat, sich von ihm abwenden und in die Irre, ja in ihr Verderben laufen.

 

Aber, zerstört denn hier der Herr des Weinbergs wirklich das, was er geschaffen hat? Wir lesen, er nimmt weg und lässt ihn. Er nimmt weg alles Schützende, seine Zäune und Mauern; und er nimmt ihm den Regen, die Feuchtigkeit, die Grundlage des Lebens. Dann lässt er ihn – zertreten, zerstören, wüst werden. Er selbst zerstört ihn nicht, er wendet sich ab.

 

Wie viele Klage-Psalmen wissen davon, dass Gott sich abwendet, sein Antlitz verbirgt. Das Alte Testament empfindet es als größte Strafe, das Gott zwar da ist, aber sich verbirgt, dass er zwar da ist, aber nichts tut, nicht eingreift in das Geschehen hier auf Erden.

 

Der Weinberg wird verderben dadurch, dass der Weingärtner nicht mehr in ihm wirkt. Wir haben ein sehr schönes Parallel-Wort zu dieser Geschichte im Neuen Testament. Es ist eines der „Ich bin Worte“ Jesu. Einmal sagt Jesus zu seinen Jüngern

 

Joh 15,5

5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.

Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht;

denn ohne mich könnt ihr nichts tun.

 

Ohne mich könnt ihr nichts. Ja, ich glaube das ist auch die Grundaussage des Jesaja-Textes. Wendet der Weingärtner sich enttäuscht ab, wird der Weinberg verderben. Und bleiben wir nicht in ihm und er in uns, so sind wir verloren, bleibt unser Leben ohne Frucht. Sind wir also doch ganz und gar von ihm abhängig? Ist es also doch nichts mit dem freien Willen?

 

Wenn wir ein Leben im Glauben vor Gott führen wollen, dann ist das so. Aber diese Grundsatzentscheidung liegt nun einmal frei in unseren Händen, auch wenn Gott sich schon längst für uns entschieden hat und uns seine offenen Arme entgegen streckt.

 

Begeben wir uns in die Abhängigkeit von Gott, so macht uns das dennoch frei. Es befreit uns ein Stück weit von den Zwängen und der Begrenztheit dieser Welt. Wir leben zwar in dieser Welt, müssen nach ihren Maßstäben handeln und bekommen auch nach wie vor die irdische Begrenztheit durch Krankheit, Leid, Tod oder durch den Verlust lieber Menschen oft hart zu spüren. Doch in allem wissen wir als gläubige Christen, in allem ist Christus, er ist durch alles Leid dieser Welt hindurch gegangen und solange er noch ein paar gute Früchte findet, verlässt er seinen Weinberg, an dem doch sein Herz hängt, nicht.

 

So lasst uns bleiben in ihm und er in uns und es feiern in diesem Abendmahl, wo wir Gemeinschaft haben werden, mit ihm und untereinander.

 

Amen